ABI-Zeitung


PHYSIK-GK bei Schröter

Es ist ein ganz normaler Donnerstagmorgen. Herr Schröter steht an der Tür des Physik?Hörsaals. Wir versuchen, seine Gestik und Mimik, die uns sagen soll: "Jetzt aber flott!", zu übersehen. Nach einigen Sekunden kommt Herr Schröter wieder an die Tür und probiert diesmal mit Hilfe seiner sonoren Stimme uns eindringlich dazu zu veranlassen, den Hörsaal nun endlich zu betreten. Stoßen seine Bemühungen nicht sofort auf gefolgsame Gegenreaktionen, greift er zu drastischeren Mitteln. Anzubringen wären da z. B. das angedrohte Nachsitzen nach der 6. Stunde oder die realistische und wirksame Drohung: "Der letzte, der reinkommt, trägt vor!". Vorher war man sich auf der Flurheizung kollektiv darüber klargeworden, wie verschwommen doch die Ereignisse der letzten Stunde präsent waren, und wie wenig man daraufhin den zu lesenden Text verstanden hatte. "Mut zur Lücke" hieß das Motto, und wenn man es beherrschte, sich selbstbewußt und sowieso allwissend ("Das brauch ich doch nicht zu erklären, das weiß doch sowieso jeder!") zu präsentieren, wie z. B. ein Schüler, der sich auf dem Lehrerpult liegend auf seinen Zwangsvortrag vorbereitete, hatte man schon fast gewonnen.



Dieser Zwangsvortrag blieb uns keine Stunde erspart. Entweder warf Herr Schröter sofort nach unserem Betreten des Raumes seinen Adlerblick auf die Kursliste, oder er visierte das Opfer an, das er schon vor der Stunde erwählt hatte. War man erst einmal aufgerufen, gab es kein Entrinnen mehr. Auch ausgefeilteste Versuche scheiterten an Herrn Schröters Hartnäckigkeit. Die einzige und auch nur seltenst vorkommende Möglichkeit war die völlige Verweigerung mit dergleichen Sturheit von Seiten des Schülers, gegen die selbst Herr Schröter machtlos war. Waren die gewünschte Person oder andere Kursteilnehmer nicht anwesend, so geriet Herr Schröter in Diskussionen, um nach dem wahren Grund für das Fehlen zu forschen. Er löcherte Freunde und Bekannte des Abwesenden, da ein bloßes "Blaumachen" für Herrn Schröter scheinbar unvorstellbar war. "Blau machen" akzeptierte er nur als verpackte Aus rede des "Stimmungskomiteetreffens, das an geblich regelmäßig abends vor den Physik stunden tagte. Deshalb mußte man auch in der nächsten Stunde eine logische und äußerst glaubwürdige Entschuldigung bereit halten, die auch Herrn Schröters eindringli chem Nachfragen standhielt. Im weiteren Ver lauf der Stunde widmete man sich dann dem von ihm vorbereiteten und völlig theo rieüberladenen Unterrichts stoff. Die physikalischen Er kenntnisse, die uns zuteil wer den sollten, versuchte Herr Schröter uns durch ausgewählte Versuche visuell zu vermitteln, wo bei in 13.1 Probleme aufgrund von wassergeschädigten Meßgeräten auftraten. Das Auditorium ent wickelte jedoch daraufhin nicht das aller größte Interesse. Man lehnte sich eher apa thisch zurück und versuchte krampfhaft, mit Blicken die Geschwindigkeit der Uhrzeiger zur Pause hin zu beschleunigen. Unsere ein zige Aktivität bestand in unserem zunehmen den Sadismus, entweder Herrn Schröter, seine Versuchsgeräte oder beides zusammen in die Luft zu sprengen. Naja, jedenfalls wollten wir ihn immer zu illegalen, gefährlichen Handlungen verleiten. Diese Versuche bekamen den besonderen Schröter?Touch durch die Taufe der Versuchsgeräte auf die Namen "Otto", "Eduard" oder "Emil", verbildlichende Be schreibung der Pendelbewegung mit den Worten "Zupp?zupp" und der Benennung der am Versuch beteiligten Teilchen als "Pfiffies". Weitere kurze Aufheiterungen des monotonen Unterrichts wurden uns durch Schülerbemerkungen, die zwar oft unpassend waren, je doch in dieser Situation zu Heiterkeitsaus brüchen der Mitschüler führten, zuteil.

 

Man stimmte ein, um dem Unterricht wenigstens für einen kurzen Moment eine andere Wendung zu geben, worauf sich Herr Schröter jedoch fast nie einließ. Bestanden wir auf "ausdiskutieren" des angeschnittenen Themas, schlug uns Herr Schröter sofort ein philosophisch?physikalisches Kurstreffen vor. Dies ist jedoch nie zustande gekommen. Bei der Auswertung der gebotenen Versuche lag es jetzt wieder an den Schülern einen Vorgang unter Zuhilfenahme von z.B. der Drei?Finger?Regel deutlich zu machen. Teilweise völlig orientierungslos streckten 15 verwirrte Schüler ihre Finger in alle Himmelsrichtungen, während Herr Schröter verblüfft und korrigierend durch die Reihen ging und Finger richtig hinbog. Bei der weiteren VersuchsausWertung trat der unterschiedliche Leistungsstand der Schüler zutage: einige blendeten sich gleich aus, die nächsten versuchten noch, soweit wie möglich mitzuhalten, und auf tiefgründigste physikalische Zusammenhänge konnte oftmals nur noch einer antworten. Die Ergebnisse der Versuche wurden immer prägnant formuliert im Heft festgehalten. Herrn Schröters silbenbetonten gemurmelten Selbstgespräche an der Tafel ersparten uns dabei das Entziffern seiner stark individuellen Handschrift.
 
Meistens gegen Ende der Stunde, als die Vorbereitungen für das Verlassen des Physiksaales bereits getroffen waren, fiel es Herrn Schröter ein, die Stundenergebnisse nochmals anhand des Buches zu untermauern. Allumfassend könnte man sagen, daß uns während der ganzen Zeit immer die Forderung nach dem LICHTBOGEN verfolgt hat,der uns, als er in 13.1 schließlich zur Ausführung kam, frustrierend wenig zu bieten hatte. Obwohl die Kursteilnehmer eigentlich ein ziemlich zusammengewürfelter Haufen waren, entwickelte sich in all den Monaten eine Art Gemeinschaftssinn, was den Physikunterricht und kollektivesVerhalten traf. Der einzige bis zum Abi übriggebliebene Klausurant wurde von Herrn Schröter immer eingehend betreut. Hilfsbereit stand er für Fragen immer zur Verfügung und opferte seine ganze Pause zur Erläuterung der Klausuraufgaben. Auf der anderen Seite lebte er aber auch in ständiger Angst vor Täuschungsversuchen und vermutete hinter jedem Schüler im gleichen Raum einen potentiellen Helfer. Auf interessierte, themabezogene Fragen seitens der Schüler reagierte Herr Schröter stets erfreut und offen, und hat diese nie einfach abgetan. Leider blieben solche Fragen zeitweise aus, weil unserem Kurs etwas der Impuls (p = mv) fehlte, der uns wiedermal theoretisch nahegebracht wurde, jedoch durch geplante Exkursionen oder zahlreichere Schülerversuche sicher hätte verstärkt werden können.Tja, an wem lag es denn, daß der Lernerfolg und die Ernsthaftigkeit nicht immer so perfekt waren? Sicher fielen da viele Faktoren zusammen. Die obig geschilderte, unvergleichlich bestechende Persönlichkeit Herrn Schröters hat uns jedenfalls immer wieder verblüfft und amüsiert.

Simone Görner / Jutta Ossenbrink